Aktuelles aus der Region Cham

Keine Vorlesung, eine Herzensangelegenheit!

|   Cham

RODING. Ein Viertel Jahrhundert, das ist schon eine Hausnummer und ein Jubiläum, das ausgiebig gefeiert werden muss. Und weil der Schorndorfer Kindergarten etwas Besonderes ist wird dort auch besonders gefeiert: Nämlich der Geburtstag '25 + 1' mit einem Vortrag von Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer über das Thema: 'Musik statt Maus, was Kindern gut tut und was ihnen schadet.'

 

Der Psychiater, Psychologe und Hochschullehrer schafft es, Brücken zuschlagen, die die über 600 Zuhörer in der Rodinger Stadthalle mit ihm mühelos beschreiten können. Besonders die zahlreichen Fachkräfte durften einen Neurowissenschaftler erleben, der das äußerst komplexe Thema Gehirnentwicklung verständlich, unterhaltsam und mit viel Herzblut präsentierte.

 

Manfred Spitzer bedient sich hierfür vieler wissenschaftlicher Studien. Wann wirft eine Bildungsinvestition am meisten Rendite ab? Besonders rentiere es sich in der Kindergartenzeit, denn da passiert am meisten in der Entwicklung, das Gehirn ist in den ersten drei Jahren noch am anpassungsfähigsten. Und im Unterschied zu einem PC mit seinem Speicher werde das Gehirn nicht voll, im Gegenteil: 'Je mehr drin ist desto mehr passt rein.'

 

Lernapps am Tablet? Das Kind lernt schlichtweg nix. Punkt!

 

Dafür benötigen Kinder aber Zeit und echte Erlebnisse, denn nur so kann das Gehirn sich weiter entwickeln. Dafür benötigt unser Zentralorgan ein sensorisches Feedback durch 'Be-Greifen'. Lernapps am Tablet seien dagegen verschwendete Zeit. Der Experte bezieht klar Stellung: “Das Kind lernt schlichtweg nix. Punkt!'

 

Forschungsergebnisse zeigen weiterhin, dass aus dieser Perspektive Musik, Sport, Theater, Kunst und Handarbeit die wichtigsten Schulfächer sind. Studien belegen, dass die Handynutzung und die Nutzung digitaler Medien in der Schule nichts bringen und bei weniger guten Schülern sogar zu einer weiteren Verschlechterung führen können. Sehr leidenschaftlich wendet er sich auch gegen die Digitalisierung im Unterricht. Die Folgen sind besonders für die sich noch entwickelnden Gehirne von Kindern, die zu wenig 'begreifbares' Lernen erhalten, immens. Nervenzellen sterben ab, Verknüpfungen verschwinden und die Leistungsfähigkeit des Gehirns nimmt ab. Dadurch werde die Lernfähigkeit drastisch verringert. Es zeigen sich Störungen in der Sprachentwicklung und Aufmerksamkeit, Verhaltensprobleme, nachweislich schlechte Noten und schlechte Ergebnisse v.a. beim Lesen und Schreiben. Im Jugendalter kann das sogar eine Verringerung der Selbstkontrolle bis hin zur Sucht bedeuten.

 

Prof. Spitzer sieht hier die Lobby der IT-Branche als Grund, dass alle wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Gehirnentwicklung in den Wind geschlagen werden. Vielmehr sollten seiner Meinung nach die Investitionen in das Erziehungs- und Bildungssystem verwendet werden und nicht um Schulklassen und sogar Kindergärten mit Laptops auszustatten. Musik und Theater als Motor für das Gehirn?

Musik macht schlau - eine umfangreiche Untersuchung von E. Glenn Schellenberg aus dem Jahre 2004 belege, dass Schüler die Klavier- oder Gesangsunterricht einen höheren IQ aufweisen als Kinder ohne diese Aktivitäten. Auch beim Theaterspiel zeige sich dieser Effekt noch in gewisser Weise, wenn auch nicht so hoch. Dafür bilde sich hier die soziale Wahrnehmung verstärkt aus.

 

Wenn auch der Ausflug zur Musik nur kurz ist, so bleibt doch nachhaltig im Gedächtnis der Zuhörer haften, dass die beste Prävention für Demenz die Bildung ist. Denn desto höher die Gehirnentwicklung ist, desto länger dauert der (krankheitsbedingte) Abstieg. Bereits zwei gesprochene Sprachen helfen statistisch gesehen um Alzheimer um fünf Jahre zu verzögern.

 

Der lang anhaltende Beifall zeigte, dass er bei den Fachkräfte und Eltern den richtigen Nerv getroffen hat. Nun gilt es, das Gehörte in den Alltag umzusetzen und das wertvollstes Gut, die Kinder, vor dem digitalen Wahnsinn zu schützen. Auch wenn die Zehnjährige schmollt, weil die erlaubte Zeit der Handynutzung ab sofort weiter eingeschränkt wird.

 

Als Dank überreichte Bürgermeister Schmaderer passenderweise einen Tintenfüller, Tinte und Papier. Die Kindergartenleiterin Karin Wilken wurde mit einem Blumenstrauß für ihre Organisation und Beharrlichkeit bedacht. Noch einige Zeit hinterher wurde in der Stadthalle in Gruppen diskutiert und der Redner stand geduldig bereit, gekaufte Bücher zu signieren und um persönliche Frage einzelner zu klären.

Zurück