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Rock im Park 2019

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Rückkehr der Superstars bei Rock im Park 2019 – Das Rock-Festival der Superlative lässt in Sachen Bookings seine Muskeln spielen.

Ein Bericht von unserem Mitarbeiter Winni Rudrof.

Das Line-Up bei Rock im Park ist von jeher mit der Crème de la Crème des Rock'n'Roll besetzt. Dieses Jahr konnte der Veranstalter jedoch noch eine Schippe drauflegen: Mit den Ärzten, The Smashing Pumpkins und Tool feierten drei Genre-Veteranen ihre lang ersehnte Rückkehr auf die Bühne. Über 70.000 Besucher erlebten vor allem mit letzterer Band eine neue Dimension des Rock-Entertainments. Als besonderes Heavy-Metal-Leckerli gaben außerdem die Trash-Metal-Könige Slayer anlässlich ihrer Abschiedstour ein letztes, feuriges Stelldichein.

Sommer, Sonne, Rock'n'Roll

Festival-Veteranen rüsten sich am Freitag-Mittag mit den drei wichtigsten Dingen für einen gelungenen Rock-im-Park-Tag: Ordentlich Sonnencreme auftragen, ordentlich Kleingeld für den Bierstand einstecken und eine Ersatz-Klorolle für alle Fälle einpacken. Anfänger bereuen bei Temperaturen um die 28 Grad ohne eine Wolke am Himmel vor allem den fehlenden Sonnenschutz bereits ab dem frühen Nachmittag.

Auf der Hauptbühne eröffnen Seiler und Speer die Kirwa-Saison, welche mit den folgenden Feine Sahne Fischfilet zum Glück ein schnelles Ende findet. Die angesagten Deutsch-Punkrocker werden ihrem Ruf als energetische Liveband mit politischem Inhalt in jeder Minute gerecht. Der schon zu früher Uhrzeit gut gefüllte Platz kommt bei Hits wie „Ich bin komplett im Arsch“ oder „Alles auf Rausch“ gut in Bewegung und die ersten Pogolöcher wirbeln ordentlich Staub auf. Frontmann Jan „Monchi“ Gorkow sammelt Extra-Symapthiepunkte als er betont, dass die Band es immer noch nicht fassen kann vor so vielen Leuten spielen zu dürfen.

Wegen einer Tourbus-Verspätung wechseln die Dropkick Murphys auf die Park Stage und tauschen ihren Platz auf der Hauptbühne mit den Architects. Deren Metalcore wird zwar ordentlich vorgetragen, jedoch scheint der Soundmischer entweder ein Bier zu viel intus zu haben oder zu lange am Klo sitzengeblieben zu sein. Das Ergebnis ist ein Base-Drum-Sound der alle anderen Instrumente in Grund und Boden hämmert. Trotzdem honoriert das Publikum die engagierte Leistung der Engländer mit lautem Applaus.

Ebenfalls aus dem Metalcore entstammen die Co-Headliner Bring me the Horizon aus Großbritannien. Ihre Entwicklung ging über mehrere Alben von deftigem Metal immer mehr in Richtung Poprock der Marke Linkin Park, was der Qualität ihres Auftritts jedoch in keiner Hinsicht schadet. Große Gesten, mehrere Kostümwechsel, Backgroundtänzerinnen mit Slipknot-artigen Masken und Flammenwerfern sowie die ersten Pyroexplosionen machen Laune und stimmen auf den ersten Headliner des Wochenendes ein – die Ärzte. Diese werden vom Frontmann Oliver Sykes als „Now come The Doctor“ angekündigt. Der Kommentar des Tages kommt von einem mit zwei Bierbechern bewaffneten Besucher in Metalkutte: „The Doctor ist Singular – es heisst The Doctors. Mannomann....“.

Frisch zurück aus den 80ern

Die Ärzte spielen nach längerer Bühnenabstinenz bei Rock im Park ein exklusives Deutschlandkonzert. Dass die drei Berliner wieder richtig heiß auf die Bühne sind merkt man Farin Urlaub, Bela B. und Rod in jeder Sekunde an. Vor allem in den immer voller Schabernack steckenden, improvisierten Ansagen zwischen den Songs sprudelt ihre Passion für das Entertainment heraus. Punchlines wie „Wir sind die drei komischen Typen aus den 80ern“ oder „Wir kommen gerade frisch aus der Fettabsaugung“ sitzen und steigern die bierselige Stimmung. Doch die „Beste Band der Welt“ - wie sie sich seit jeher selbst bezeichnen – kann nicht nur Ulk sondern auch Songs schreiben. Wie viele Nummer-Eins-Hits sie in ihrer Karriere abgeliefert haben wird einem in den über zwei Stunden Show klar. „Zu spät“, „Unrockbar“, „Westerland“, „Lasse redn“ - die Liste der Songs bei denen das Publikum lauthals mitsingt ist endlos. Und was manchmal vergessen wird: die Ärzte sind nach wie vor Punks und auch politisch motiviert. So widmen sie ihren Hit „Schrei nach Liebe“ nicht mehr der NPD sondern der aktuellen Rechten: der AfD. „Früher war der Song als Statement gegen Skinheads gemeint, heute sehen die anders aus. Zum Beispiel tragen sie Dackel-Krawatten…“ Ein klarer Seitenhieb auf den AfD-Politiker Alexander Gauland, der ein Faible für solche Krawatten hat. Fazit: Die beste Band der Welt hat zwar im Schnitt die Mitte 50 erreicht, ist aber immer noch einen Konzertbesuch wert. Beste Grüße nach Berlin.

Volles Haus, volle Bühnen und volle Toiletten

Zum Frühstück gibt es am Samstag frischen Kaffee, lecker Sodbrandtabletten und allerorts die alte Diskussion ob Hip-Hop-Acts wie Marteria oder Alligatoah jetzt zu einem „Rock“ im Park passen oder nicht. Der Großteil ist sich einig: Der Crossover-Gedanke ist schon immer Teil des Festivals und sorgt dafür dass jeder sich das rauspicken kann was ihm gefällt. Warum nicht mal nach einer saftigen Death-Metal-Kelle ein bisserl Rap auf der Park-Bühne lauschen. Vielfältigkeit vor Einfältigkeit.

Im Fokus der Diskussionen steht den Rest des Samstags dann ein sehr menschliches Bedürfnis: technische Störungen bei den Wassertoiletten sorgen in Kombination mit übervollen Dixie-Häusln für einen analogen als auch digitalen „shitstorm“. Der Veranstalter reagiert mit dem Versprechen „250 Dixieklos aus ganz Deutschland“ heranzuschaffen. Wohl dem, der in den 90ern den Seitwärts-Spagat aus diversen „Jean Claude Van Damme“-Filmen gelernt hat und sich so spiderman-artig im ToiToi über der Schüssel positionieren kann. Bei über 70.000 Besuchern wird es wahrscheinlich immer eine Herausforderung bleiben, allen ein wohliges Geschäft zu ermöglichen.

An der frischen Luft spielen die Alternative-Metaller von Godsmack einen knackigen Gig. Ihre 90er Hitnummern wie „Awake“ oder „Voodoo“ ergeben zusammen mit den neuen Songs ein homogenes Set. Ihr Sound lässt sich am Besten als Mischung aus Alice in Chains und Metallica beschreiben. Das macht Laune und animiert zum ersten Bierkauf des Tages. Fans von Vikingerhelmen und Trinkhörnern sind dann bei Amon Amarth gut aufgehoben. Die Melodic-Death-Metal-Band aus Tumba/Schweden lassen in den ersten Reihen einige Frisuren beim Headbangen kreisen. Passend zu  ihrem Sound ist die Bühne mit übergrossen Vikingerschiffen und behörnten Helmen dekoriert. Und natürlich dürfen auch die ersten Pyroflammen die eh schon hohen Temperaturen noch mehr erhöhen.

Spassteufel und Psycho-Clowns

Kadaver aus Berlin huldigen in der Alterna Arena dem guten, alten Stoner- und Psychedelic-Rock. Ihre Songs sind solide, stechen aber nicht wirklich aus dem Gros der 70er-Retro-Bands heraus. Aber egal, denn auf der Hauptbühne machen sich Jack Black und Kyle Gass von Tenacious D auf, die Welt in Grund und Boden zu Rocken. In der Sparte des Comedy-Rocks sind die zwei Spaßnasen die Nummer Eins, und das beweisen sie mit ihrem Auftritt auf's Neue. „Tribute“, „Wonderboy“ und „Rize of the Fenix“ werden von tausenden Fans lauthals mitgesungen und die zwei Frontmänner ziehen dabei alle Register des Rock-Posings. Bei aller Gag-Haftigkeit muss man den Zweien aber auch attestieren dass sie gute Musiker sind und wissen, was sie auf der Bühne tun. Kein Wunder, immerhin sind sie seit 1997 als Band unterwegs und jamen mit Musikgrößen wie Dave Grohl oder Josh Hommes.

Deutlich weniger Comedy gibt es beim Samstags-Headliner Slipknot zu hören und sehen. Die Psycho-Clowns aus Iowa schiessen ein Nu-Metal-Brett nach dem anderen aus den Boxen und umhüllen sich dabei in eine feurige Bühnenshow. Kurz vor dem Auftritt kursieren Gerüchte im Internet, dass sich der Frontmann Corey Taylor schwer am Skrotum verletzt habe. Davon ist bei seiner Performance nichts zu merken. Druckvoll schreit und singt er hinter seiner Maske – die einer aufgedunsenen Wasserleiche ähnelt – als stehe der Weltuntergang bevor. Beeindruckend ist, abgesehen von den Percussion-Clowns, die ihre Trommeln mit Baseballschlägern und Rohren bearbeiten, das druckvolle und sehr abwechslungsreiche Spiel des Drummers Jay Weinberg. Egal ob Slayer-Stakkatos, straightes Rock-Drumming oder breaklastige Beats: hier thront ein Meister seines Fachs. Als sich am Ende des Sets zu dem Superhit „Duality“ das gefühlt komplette Areal vor der Hauptbühne in ein monumentales Pogoloch verwandelt ist eines klar: Slipknot reissen mit und sind der perfekte Samstag-Abend-Headliner.

Als Betthupferle treiben in der Alternarena die Eagles of Death Metal die letzten vorhandenen Schweisstropfen aus den Köpfen der Besucher. Frontmann Jesse Hughes ist ein echter Rock'n'Roll-Paradiesvogel und tanzt sich funky durch Hits wie „Cherry Cola“ oder „I wanna be in LA“. Voller Glamour sind dabei nicht nur seine Dance-Moves sondern auch die Outfits seiner Mitmusiker. Bei einer Rock-Show hört eben nicht nur das Ohr sondern auch das Auge mit. Guter Samstag, gute Bands, gute Nacht.

Rückkehr der Rock-Legenden

Tag drei bei Rock im Park bedeutet Endspurt für alle Systeme: Kopfhaut, Leber und Verdauungstrakt sind am Limit angelangt, aber das Line-Up schreit nach einer finalen Übertaktung. Die Bands der Main-Stage lesen sich wie ein Best-of der Rock'n'Roll Hall of Fame.

Mit Alice in Chains betreten Legenden der Grunge-Ära die Bühne und starten mit „Damn that river“ eine Zeitreise durch drei Jahrzehnte einzigartigen Alternative-Rock. Der „neue“ Sänger William DuVall, der immerhin schon seit drei Alben am Mikrofon steht, liegt dem Timbre des verstorbenen Layne Staley sehr nahe, setzt aber durchaus eigene Akzente. Die permanente zweite Stimme wird bei jedem Song vom Gitarristen und Hauptsongwriter Jerry Cantrell intoniert, was den Sound von Alice-in-Chains einmalig macht. Dazu untermauern schwere Gitarrenriffs und ein hypnotisch gespielter Bass melancholische Hits wie „Down in a hole“, „Rooster“ oder „Would“.

Ein weiterer alter Rock-Hase ist danach mit Slash feat. Miles Kennedy an der Reihe. Der hauptberuflich bei Guns'n'Roses engagierte Gitarrist, der nur aus Haaren, Zylinder und Whiskey besteht, spielt zusammen mit seiner Backing-Band knackigen Old-School-Rock'n'Roll der zum Mitwippen und Biertrinken animiert. Mit Miles Kennedy von Alter Bridge hat er eine der umfangreichsten Stimmen der Rock-Szene an seiner Seite. Und diese Kombination aus erdigen Riffs und guter Stimme ist eine äußerst unterhaltsame Angelegenheit.

Kürbisse, Werkzeuge und Schlächter

Auf den Auftritt des danach folgenden Co-Headliners Smashing Pumpkins mussten viele Fans ein paar Jahre warten, doch nun ist es endlich soweit: Band-Chef Billy Corgan hat mit Drummer Jimmy Chamberlin und Gitarrist James Iha fast die komplette Urbesetzung um sich geschart und das alte Feeling springt vom ersten Song an auf das Publikum über. Hymnen wie „Tonight, tonight“, „Disarm“ oder „Bullet with butterfly wings“ lassen die Gänsehaut wachsen und die Köpfe nicken. Corgan ist gut bei Stimme – was er früher oftmals nicht war – und ist in so guter Laune dass er sich während seiner gewohnt kühlen Show sogar zu ein paar Scherzchen hinreissen lässt. So fordert er seinen Kumpel James Iha zum Tanz auf und lässt ihn sogar zu der Durchsage „Dance, motherfuckers“ hinreissen. Ein starker Auftritt der Grunge-Veteranen und in Verbindung mit den gelungenen neuen Songs ein unvergessenes Erlebnis.

Langes Warten auf unvergessene Auftritte hat der Headliner Tool in den letzten 13 Jahren ausgiebig zelebriert. Egal ob langjähriger Fan oder junges Rock-Kid: ein jeder Rock-im-Park-Besucher findet sich vor der Hauptbühne ein um das Mysterium Tool mitzuerleben. Die Legenden berichten von unglaublichen Soundteppichen, unmenschlichen Rhythmen, perfektem Sound, unvergessenen Lightshows und vielem mehr. Und dann beginnt es wirklich wahr zu werden: Die Band betritt die Bühne und es beginnt ein einmaliges Erlebnis für Ohr, Auge, Kopf, Magen und Seele. Sänger James Maynard Keenan steht im Dunklen wie ein Scherenschnitt vor einer riesigen Leinwand auf der  unentwegt Welten entstehen die in andere Welten entführen. Geometrische Formen, Farben, Laser, androgyne Wesen die sich unmenschlich aber auch allzu menschlich bewegen, alles ist ein großes, perfektes audiovisuelles Konzept das unglaublich intensiv in seinen Bann zieht. Gitarrist Adam Jones, Bassist Justin Chancellor und Drummer Danny Carey stehen bzw. sitzen während des Gigs fast statisch auf der Bühne. Das verwundert nicht, denn einerseits spielen sie sich durch irrwitzige Rhythmen, tonnenschwere Riffs und progressive Songmonster, die hundert Prozent Aufmerksamkeit von den Musikern fordern, auf der anderen Seite inszeniert sich die Band als Teil einer Show die größer als ihre einzelnen Teile ist.

Als einzige Band des Wochenendes nutzen Tool die großen Leinwände neben der Bühne nicht um sich selbst in Großaufnahme zu zeigen sondern benutzen die Screens um den visuellen Eindruck des Bühnen-Konzepts zu erweitern. Als ab der Mitte des Sets auch noch dutzende von Lasern den kompletten Himmel mit in die Show einbeziehen erfüllt das Spektakel jedes Molekül bei Rock im Park. Kaum ein Besucher tanzt, geschweige denn pogt. Man sieht nur offene Augen und Münder. Sogar die allseits gehassten Handy-Mitschnitte bleiben aus, denn jeder will in vollen Zügen erleben was hier passiert.

In Sachen Songs spielen sich Tool durch alle Alben ihres Schaffens. „Aenima“, „Parabola“, „Schism“, „Stinkfist“ oder „The Pot“ dringen mit so einem immensen Druck und Perfektion aus der Anlage das man denkt man sei Teil des Auftritts. Zwei neue Songs erweitern das Set, wobei der Begriff „Song“ hier nicht wirklich angebracht ist. Progressive-Rock-Opern kommen einem eher in den Sinn. Ein einmaliger, unglaublicher Auftritt der noch Stunden und Tage danach in den Köpfen der Anwesenden bleiben wird. Als die letzten Töne verklingen und sich ein Feuerwerk in die Nacht ergiesst kann immer kaum noch jemand auf dem Platz sprechen. Nur ein Tool-Fan neben mir bewegt mit großen Augen sein Handy langsam zum Mund und sagt: „Siri, das neue Tool-Album bestellen.“

Wer nach diesem Jahrhundert-Auftritt noch einigermaßen gehen bzw. stehen kann pilgert zu dem Auftritt der Trash-Metal-Könige Slayer. Die Mannen um Kult-Gitarrist Kerry King haben die Szene wie keine andere Band geprägt und sind auf ihrer letzten Tournee unterwegs. Und dass sie die Könige sind lassen sie die Besucher mit jedem Song spüren. Begleitet von meterhohen Flammen und einem diabolischem Bühnenbild brennen Slayer ein Hit-Feuerwerk der Superlative ab. „Raining Blood“, „South of Heaven“ oder „Seasons in the Abyss“ werden von den Fans lauthals mitgegrölt und die Pogolöcher wachsen im Moshpit wie Rock-Schwammerl aus einem feuchten Waldboden.

Wer danach immer noch nicht genug hat bekommt bei Arch Enemy in der Alternarena die finale Metal-Watschn. Der Melodic-Death-Metal der schwedischen Band bekommt wegen der Frontfrau Alissa White-Glutz einen ganz eigenen Touch. Oder auch nicht. Gesäge trifft auf Gekeife. Aber wenn man drauf steht bestimmt geil.

Und wieder gehen drei Tage Rock im Park dem Ende zu. Fazit: Große Bands mit einmaligen Auftritten, dazu viel Sonne und kühles Bier. Rockerherz, was willst du mehr?

Impressionen vom Rock im Park 2019

 
 
 
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Fotos: © Winni Rudrof