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'Schnuppertouren' in der Handwerkswelt als Praxis-Rezept gegen den Akademisierungswahn

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OBERPFALZ. (obx) - Ein Fünftel aller Lehrstellen im bayerischen Handwerk bleibt heute unbesetzt - und das, obwohl Handwerker oft bessere Berufschancen als viele Akademiker haben. In den nächsten Jahren wird sich der Nachwuchsmangel nach allen vorliegenden Prognosen weiter verschärfen. Mit einer Initiative zur frühen beruflichen Orientierung in den Schulen kämpft Ostbayerns Handwerk seit einigen Jahren als Vorreiter gegen den Nachwuchsmangel.

 

Neun Jahre nach dem Start ist die Bilanz positiv: Mehr als 28.000 Schüler haben das Angebot bereits genutzt. 'Und die Nachfrage steigt stetig an', sagt Hans Schmid, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz. Was anfangs unvorstellbar schien, wird demnächst Realität: Sogar Gymnasien wollen sich beteiligen.

'Probieren geht über Studieren', was der Volksmund schon lange weiß, hat die Kammer 2007 in die Tat umgesetzt: In insgesamt elf Bildungszentren zwischen Amberg, Weiden, Regensburg, Landshut und Passau schlüpfen Schüler für einige Tage in die Rolle eines Maurers, Glasers, Tischlers, Mechatronikers, Lackierers oder Nachwuchs-Kochs. 'Uns geht es vor allem darum, junge Menschen und insbesondere auch Eltern und Lehrer wieder für Handwerksberufe zu begeistern. Damit lassen sich neue Potenziale für den Ausbildungsmarkt aktivieren', sagt der ostbayerische Handwerks-Präsident Dr. Georg Haber. Die drittgrößte Handwerkskammer in Deutschland vertritt 36.000 Betriebe mit einem Jahresumsatz von rund 24 Milliarden Euro und mehr als 200.000 Beschäftigten.

 

'Oftmals kennen die jungen Leute die vielfältigen Perspektiven in den über 130 Ausbildungsberufen des Handwerks gar nicht', so Dr. Haber, der seit 2014 an der Spitze der Kammer steht. Mit der Berufsorientierung hätten Jugendliche die Möglichkeit, im Schulkontext ihre Potenziale zu entdecken und zu erproben. Seit dem Start vor neun Jahren sind die Experten der Handwerkskammer an den Schulen auf Werbetour für ihr Angebot. Denn verpflichtend ist eine praktische Berufsorientierung in Bayern nur an Mittelschulen, nicht aber an Realschulen und Gymnasien. Inzwischen fruchtet das Bemühen der Handwerkskammer bei Lehrern und Eltern: Die ersten Realschulen sind Partner des Projekts, im Jahr 2017 werden mit Schülern aus dem Gymnasium Untergriesbach im Landkreis Passau die ersten künftigen Abiturienten in den Berufsbildungszentren zu Gast sein. Die Kammer führt das auch auf ein wachsendes Umdenken in der Gesellschaft zurück: 'Wir spüren, dass das Image des Handwerks wieder steigt', sagt Hauptgeschäftsführer Toni Hinterdobler. So habe sich beispielsweise die Zahl der Abiturienten, die sich gegen ein Studium und für eine Ausbildung entscheiden, binnen weniger Jahre von gut vier Prozent auf mehr als sieben Prozent fast verdoppelt.

 

Auch die Politik würdigt die Anstrengungen der ostbayerischen Handwerkskammer. Kürzlich überbrachte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Stefan Müller, einen Scheck in Höhe von knapp 800.000 Euro. Mit dem Geld sollen weitere knapp 3.000 Schüler aus über 50 ostbayerischen Schulen in einen 'Schnupperkurs' im Handwerk absolvieren. 'Das ist ein guter Einstieg, um sich mit der eigenen beruflichen Zukunft zu beschäftigen', sagte der Staatssekretär bei seinem Besuch in Regensburg.

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