NÜRNBERG. Die Voraussetzungen für ein exzellentes Rock im Park waren dieses Jahr gegeben: Sommerprognosen von bis zu 33 Grad ohne Wolken, ein sattes Lineup mit großen Bands und ein 20-jähriges Jubiläum zu feiern das mit 75.000 Besuchern restlos ausverkauft ist. Alle drei Prognosen trafen mit kleinen Abweichungen ein. Am Festivalsamstag machte das Wetter zu später Stunde einen satten Strich durch die Partyrechnung und 75.000 Festivalbesucher mussten vor einem nahenden Unwetter kurzzeitig in Sicherheit gebracht werden.
Nach ein paar Stunden war der Spuk jedoch vorbei und die Rock-Party konnte weitergehen. Obwohl erfahrene Camper das Gewitter eher als „harmlos bis mittelschwer“ beschrieben ging die Festivalleitung auf Nummer Sicher. Mit einem kolossalen Evakuierungsakt wurden die Festivalbesucher für die Dauer des Unwetters in die Sicherheitszonen Zeppelinfeld und Frankenhalle geleitet. Vorausgegangen war in der Nacht zuvor ein Blitzeinschlag beim Schwesterfestival Rock am Ring bei dem mehrere Menschen verletzt wurden, was die auf maximale Sicherheit setzende Vorgehensweise verständlicher macht.
Nicht ganz so sicher war der Bühnenrand der Park-Stage, denn der konnte den sichtlich volltrunkenen Gothic-Kobold Marylin Manson nicht oben auf halten. Er plumpste doch glatt von der Bühne, nur um einige Minuten später ins Mikro zu lallen: „I think I broke my leg but I think it was worth it...“. Großes Kino - zwar nicht für Fans seiner Musik (oder überhaupt einer guten bzw. unpeinlichen Performance) - aber die Lacher waren das Wochenende über definitiv auf seiner Seite.
Aber zurück zum Anfang, also zum Festival-Freitag: Die Sonne brennt lupenartig auf die Köpfe der Besucher des Rock im Park und 32 Grad auf dem Thermometer zwingen zur Mitnahme einer Sonnencreme mit Schutzfaktor 1000. Allerorts wird auf stetige Wasseraufnahme hingewiesen und jeder der sich nicht daran hält hat bei diesen Temperaturen nach ein paar Bier einen Besuch im Sanizelt nötig. Die Eagles of Death Metal sind die Hitze als Südstaatler gewohnt und Frontmann Jesse „The Devil“ Hughes nutzt bei seinen Hits „Wannabe in L.A.“ und „Cherry Cola“ mit seinen extravaganten Tanzschritten (welche er von einer Monster-Hinterherreisetour bei George Clinton gelernt hat) die ganze Breite der Hauptbühne. Derweil machen sich auf der Parkstage (frühere Alternastage) die Nu-Rocker von Godsmack daran an einen Sack voller Rock-Hits auf den Besuchern auszuschütten. Da sie ihren Metallica/Alice in Chains-Sound schon seit Mitte der 90er machen haben sie einige solcher Perlen in Gepäck was den Schweiß vor und auf der Bühne in Litern fließen lässt. Auch die darauf folgenden Papa Roach haben ihre Wurzeln in den 90ern, ihr Übersong „Last Resort“ ist immer noch ein gern gespielter Numetal-Klassiker in jeder Rock-Disco. Live greift die Band mehr auf ihre letzten Alben zurück die mehr Richtung Nu-Rock als Nu-Metal gehen, was ihnen auch gut zu Gesicht steht. Solider Gig von solider Band. Nun aber ab in den Schatten bevor ein Hitzschlag droht.
Nach ein/zwei eiskalten Softdrinks an der Strandbar machen sich die Beatsteaks aus Berlin daran ihr hit-geschwängertes Set von der Hauptbühne zu feuern. Von „Let me in“ über „Hand in hand“ bis hin zu „Cut off the top“ bringt die sympathischste Arbeiterband Deutschlands jeden noch so bewegungs-verweigernden Steh-Trinker zum rythmischen Mitwippen. Sänger Arnim geht zwar ab und an etwas die Puste aus was aber der Hitze und seinem stoffreichen Gondoliere-Outfit zu verdanken ist und er macht diesen kleinen Fauxpax mit großen Entertainerqualitäten locker wieder wett. Immer wieder gut die Jungs. Als Anheizer für den Headliner genau richtig gesetzt. Denn die Foo Fighters sind in Sachen Sound den Beatsteaks sehr ähnlich: Ehrliche und vor allem kredibile Rocksongs die vom kleinen Club bis hinauf zur Riesenbühne funktionieren. Wenn jemand ein Händchen für große Rocksongs und Rockgesten hat dann Mister Dave Grohl himself. Fast drei Stunden spielt sich die sympathischste Rockband aller Zeiten durch ein mitreißendes Set. „Breakout“, „Times like these“ und „Pretender“ begeistern restlos, „Everlong“ und „My Hero“ sorgen für Gänsehaut, ein minutenlanger Classic-Rock-Jam inklusive drehender Bühne lädt zum intimen Moment ein und das abschließende „Best of you“ wird von Grohl und tausenden Zuschauern derartig inbrünstig gesungen, dass man nach dem Gig auf einem Meer aus Gänsehaut zurück zum Zeltplatz schwimmen kann. Bitte so oft es geht diese einmalige und große Band zum Rock im Park holen. Einen besseren Headliner kann es nicht geben. Leider verhindert die Absperrung der Parkstage den Besuch des zweiten Headliners Slipknot da der Platz aus allen Nähten platzt und die Veranstalter deswegen alle Schotten dicht machen. Schade, der Gig der coolsten Nihilisten links der Vils wird tags darauf als intensiv und maximal arschtrittig beschrieben. Die Nacht ist kurz und schwitzig doch das morgendliche Wechseln der schmoddrigen Unterwäsche und eine kurze Zahndusche vertreiben die Schatten einer teuflischen Nacht. Bei knusprigen 33 Grad am Festival-Samstag und einer Luftfeuchtigkeit die jede Dusche obsolet macht führt der Weg direkt aufs Festivalgelände. Für die Nacht sind Unwetter angesagt und darum nehmen viele Festivalbesucher ihren Regenponcho mit auf's Gelände, was sich später noch als weise Entscheidung entpuppen wird. Die Punkrocker von Schmutzki eröffnen den Festivalsamstag mit einem energetischen und lustigen Gig. Die schon mittags zahlreich erschienen Fans hat sich die Band teilweise am Abend zuvor bei einem Privatgig auf dem Zeltplatz erspielt. Respekt dafür! Danach heißt es Vorhang auf für die Urväter des politischen Punkrock: Bad Religion haben nach all den Jahren nichts an ihrer Präsenz verloren und sind in diesen politisch unruhigen Zeiten relevanter denn je. Hits wie „Generator“, „Suffer“, „21st Century Digital Boy“ und „American Jesus“ werden vom Publikum lauthals mitgesungen und abgefeiert. Zurecht. Und wer denkt dass die Bruthitze in der Sonne nicht zu toppen ist der wird in der Halle beim Auftritt von Skindread eines besseren belehrt: Die Nachfolgeband der legendären Formation Dub War mischt geschickt Reggae mit Dub, Hardcore und Metal und nimmt mit dieser feurigen Mischung und dank ihres Frontmannes der im Sekundentakt zum „bouncen“ animiert die Halle ein. Geiler Auftritt, ehrlich, dick und auch noch politisch korrekt. Die heimlichen Gewinner des Festival-Samstags.
Nicht minder politisch motivert sind danach Rise against die mit ihrem Hardcore-Punk-Rock-Gemisch mit großen Melodien wie geschaffen für die Hauptbühne sind. Ihre Punkhymnen wie „Satelite“, „Re-education“ oder „Help is on the way“ animieren zum Mitgröhlen, das kurze Akkustikset mit „Swing life away“ und „Hero of war“ lässt schwelgen und Ansagen wie „es ist uns eine Ehre nach solchen Helden wie Bad Religion spielen zu dürfen denen wir unsere Musik und alles verdanken was wir sind“ unterstreichen die Einzigartigkeit von Rise against. Nach so viel gutem Gig kommt danach der Brüller des Festival-Wochenendes: Wer nicht gerade auf jeder Kirwa die Toten Hosen hören will pilgert zum Auftritt des Gothic-Gottes Marylin Manson. Und als Mister M. sein Set mit dem Satz „Hello Rock am Ring“ beginnt ahnen bereits die Ersten was sich später fast im Sekundentakt bestätigt – der Junge ist voll wie eine Haubitze. Auch eine richtig tight aufspielende Band kann nicht verhindern dass tausende von Rock im Park-Besuchern Zeuge einer eher peinlichen Show werden. Angefangen bei dem ständigen, uncoolen Wegwerfen des Mikros über belangloses Lallen ins Mikro bis hin zu unerträglich langen Pausen zwischen den Songs (weil die Stagehands die zerstörten und/oder weggefeuerten Mikros ersetzen und/oder Mister Manson wieder „fit machen“ müssen) wundern sich viele was der Junge da oben macht. Als er dann anfängt in seinen eigenen Schuh zu singen (!!), sich statt seines obligatorischen Brust-Cuttings die halbe Lippe abschneidet, ganz „Germany“ beschimpft, seinen Gitarristen als Basser anspricht und als Höhepunkt die bereits anfangs beschriebene Flugeinlage abliefert ist der Gig früher zu Ende als die erste männliche Masturbation mit Einsetzen der Pubertät. Wie gesagt: Guter Gig ist anders aber wenigstens gibt’s was zu erzählen am nächsten Morgen. Also das und die Evakuierung von 75.000 Leuten aufgrund des Unwetters. Und der Abbruch des Auftritts des 4/4-Chartelektro-Fuzzis Fritz Kalkbrenner...ne, dann doch lieber Schweigen am Morgen.
Sonntag ist immer Katertag und wer denkt dass die regnerische Nacht Abkühlung gebracht hat der liegt falsch: Es geht heiß und schwül weiter. Nach diversen Punk-Intermezzi von Sondaschule, Zebrahead und Feine Sahne Fischfilet geht auf der Parkstage der Vorhang für eine zwar noch junge aber jetzt schon große Band auf: Bilderbuch laden zum verschmitzen Mitsingen, Tanzen, Swingen, Kopfnicken und Lächeln ein. Coole Ansagen, smarte Texte, intelligente Song-Arrangements, eine nicht von der Hand zu weisende Verneigung vor Falco, junge und talentierte Musiker aus Österreich sowie ein aktuelles Album das fast nur aus sexy Singles besteht sind ein Garant für einen herausragenden Auftritt. „Coca Cola, Fanta, Sprite, 7up, Pepsi, allright“ heisst es in ihrem Song „Softdrink“ und genau den gefüllt mit viel Eis braucht man nach so einem heißen Auftritt in der brüllenden Hitze auch. Kultig wird es danach auf der Hauptbühne denn Slash bittet zur Old-School-Rock-Audienz. Der heimliche Kopf der legendären Guns'n'Roses rockt sich mit diversen ein- und zweihalsigen Gitarren die mehr als ein Einfamilienhaus kosten durch ein amtliches Set das sowohl von neuen Songs als auch von Gunner-Klassikern wie „You could be mine“ oder „Sweet Child of mine“ durchzogen ist. Gute alte Rock-Festival-Schule von der man auf einem „Rock im Park“ mehr hören will und sollte (anstatt ein dreitägiges Elektrozelt aufzustellen). Bezeichnend dafür ist die Frage eines Festivalbesuchers „wo denn dieser Slash früher gespielt habe“. Aufgrund einer solchen Rock-Intelligenz-Allergie war dieser verwirrte und eher zur Gattung „uncool“ zu zählende junge Herr zu hundert Prozent wegen Fritz Kalkbrenner auf ein Rockfestival gefahren. Halleluja, Gott des Rock, bitte hilf uns!
Nebelschwadig, schwer und bluesig wird es anschließend in der Halle bei Blues Pills. Die Schweden rocken und bluesen dermaßen druckvoll dass es so manchem durchgerockten Sonntagsfestivalbesucher die labbrige H&M-Käppi vom Schädel weht. Die Stimme der Frontfrau ist außerdem mit die beste des ganzen Festivals. Wer die vier Punk-Metal-Mädels von L7 noch aus Grunge-Zeiten mit ihren Hits „Pretend we'r dead“ und „Shitlist“ im Kopf hat wird nur teilweise mit einem gutem Gig belohnt. Die Ladies sind zwar spielfreudig und guter Laune nur laden ihre fies klingenden Funzmetal-Gitarren gepaart mit einem eher durchschnittlich gut abgemischten Sound zum sofortigen Verlassen der Halle ein. Als Abschlusszuckerle geben die Electro-Punks von The Prodigy nochmal Vollgas und laden bei Hits wie „Poison“, „Firestarter“ und „Smack my bitch up“ zum Abschluss-Pogo-Ball ein. Ein heisses Rock-Im-Park-Jubiläumsfestival geht zu Ende und Alle gehen mit Sonnen- und Sodbrand zufrieden nach Hause. Bis nächstes Jahr, Zeppelinfeld.