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Weltweite Kinderrechte lokal umsetzen

|   Regensburg

REGENSBURG. Im Fokus der zweiten Ausgabe des HSD Talks am Weltkindertag standen Deutung und gelebte Praxis von Kinderrechten in Regensburg. Die Vorträge eröffneten dem interessierten Publikum verschiedenste Perspektiven: angefangen vom wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse der Sozialen Arbeit über den Spagat zwischen elterlicher Verantwortung und Selbstbestimmung der Kinder bis hin zur Einbindung von Kinderrechten und -wünschen in städtische Entscheidungsprozesse und der Heimunterbringung.

Wissenschaftliches Erkenntnisinteresse trifft auf gelebte Praxis und alle, die Lust haben, dürfen mitdiskutieren: Das ist der kostenlose und aktuell noch digital stattfindende HSD Talk, der am Montag pünktlich zum Weltkindertag mit dem Thema Kinderrechte in Regensburg in die zweite Runde startete. Organisiert wurde der Event von Dr. Andreas Eylert-Schwarz, der an der HSD Hochschule Döpfer in Regensburg im Studiengang Soziale Arbeit lehrt. Die ReferentInnen Martina Kindsmüller (Leiterin der Jugend- und Familientherapeutischen Beratungsstelle der Stadt Regensburg), Anna Schledorn (Jugendhilfeplanerin der Stadt Regensburg) sowie Frank Baumgartner und Xaver Waitzhofer (Kinderzentrum St. Vincent, Regensburg) bereicherten den Abend mit zum Teil äußerst überraschenden Details in ihren Vorträgen.

Taufe mit weitreichenden Konsequenzen
„Bereits bei der gestrigen Taufe haben wir über seinen Kopf hinweg entschieden“, reflektierte Prof. Dr. Andreas Liebl, Vize-Präsident für Forschung an der HSD Hochschule Döpfer und Vater eines dreimonatigen Babys, seinen jüngsten Eindruck im privaten Umgang mit Kinderrechten. Er sei deshalb sehr froh über die Möglichkeit der Firmung: „Damit kann er zwar unsere Entscheidung nicht rückgängig machen, aber gegebenenfalls sein religiöses Bekenntnis selbstbestimmt erneuern.“ Auch erinnerte Liebl in seiner Begrüßung daran, dass die HSD sich bereits seit Beginn an das Thema Kinderrecht groß auf die Fahne geschrieben habe. So zeuge eine Ausgabe der HSD NEWS von 2015 unter dem Titel „Kinder willkommen“ von dem vielfältigen Engagement der Hochschule.

Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession
Nach dieser Hinführung sorgte Dr. Eylert-Schwarz mit seinem Vortrag über die UN-Kinderrechtskonvention für die theoretische Fundierung und Verortung. Dazu gehörte ein kurzer Ausflug in die Historie von Kinderrechten, die Entwicklung der UN-Kinderrechtskonvention und eine Typologie der Kinderrechte nach UNICEF. Dabei verdeutlichte er, dass sich im Grunde alle Kinderrechte auf die drei Grundprinzipien der Förderung, des Schutzes und der Beteiligung zurückführen ließen. Forschungsbedarf erkennt der Hochschullehrer insbesondere bei der Erforschung der Auswirkungen der Corona-Pandemie im Kontext der häuslichen Gewalt, der fehlenden Beteiligung und der Einschränkung des Rechtes auf Bildung. Das Studium der Sozialen Arbeit selbst sieht Eylert-Schwarz als Ausbildung in einer Menschenrechtsprofession, in der Studierende zu „Anwälten von Kindern“ heranreifen, um danach den Einmischungsauftrag in einem kritisch-reflektierten und verantwortungsvollen Umgang ausüben zu können.

Facettenreiche Beziehung zwischen Kindeswohl und Kinderechten
Martina Kindsmüller ist es mit ihrem Vortrag gelungen, die Gratwanderung zwischen elterlicher Verantwortung und Selbstbestimmung von Kindern aufzuzeigen. Sie illustrierte dies anhand einschlägiger Beispiele wie dem eines Mädchens, das nicht in die Schule möchte, oder eines Teenagers, der lieber seine Zeit mit Computerspielen als mit Hausaufgaben verbringt. Vielen Eltern bekannt dürfte auch das Beispiel eines Jugendlichen sein, der weit nach der vereinbarten Zeit betrunken zuhause aufschlägt. In all diesen „facettenreichen Beziehungen zwischen Kindeswohl und Kinderechte“ sei es ihrer Ansicht ebenso notwendig, „Kinder mit ihren Rechten auch nicht zu überfordern“. Die Leiterin der Jugend- und Familientherapeutischen Beratungsstelle der Stadt Regensburg setzt sich deshalb im Rahmen ihrer Tätigkeit dafür ein, Eltern gezielt Ideen und Perspektiven als Alternativprogramm zu den empfundenen Machtkämpfen zu vermitteln. „Gewaltfreie Kommunikation, Präsenz zeigen, Orientierung und Halt bieten,“ empfiehlt die Psychologin und Psychotherapeutin exemplarisch als „Maßnahmen, um für gute Aufwachsbedingungen zu sorgen“.

Internationale Anerkennung für kinderfreundliche Kommune
Überrascht war nicht nur die Präsidentin der HSD Hochschule Döpfer, Prof. Dr. Karin Kohlstedt, davon, welch international herausragenden Ruf der Stadt Regensburg in Bezug auf Kinderfreundlichkeit vorauseilt, der vor allem dem bemerkenswerten Engagement von Anna Schledorn zu verdanken ist. Auch die Etablierung ihrer Stelle der Jugendplanerin als feste Beamtenstelle und deren Integration in die Struktur der Stadtverwaltung war für viele der Gäste neu. Die Sozialpädagogin und Mutter zweier Kinder übernimmt in ihrer Position u.a. eine wichtige Verantwortung zwischen der Vertretung von Anliegen von Kindern und deren Schutz und Sicherheit im Rahmen städtischer Planungsprozesse. „„Es ist wichtig, dass die Stadtverwaltung und die Politik sich den Stadtteil von den Kindern zeigen lassen. Wenn dann bei den Streifzügen die Erwachsenen u.a. auch Verkehrsplaner beim Überqueren von einer Straße nervös werden, dass alle Kinder gut rüber kommen, dann verstehen sie, dass man sich hier kümmern muss. Denn die wissen ja, dass die Kinder normalerweise da alleine rüber müssen“, schildert sie für alle nachvollziehbar. Nicht selten komme es durch dieses proaktive Vorgehen vor Ort und dem Einbezug der Kindersichtweise zu wichtigen Anpassungen.

Bereits früh habe man hier in Regensburg erkannt, „dass Kinderfreundlichkeit zu einem äußerst relevanten Standortfaktor gehört“, erzählt Schledorn. 2012 hat sich die Stadt für die Teilnahme an dem Modellprojekt „Kinderfreundliche Kommune“ entschieden, das von UNICEF und dem Kinderhilfswerk ins Leben gerufen worden war. Die Jugendplanerin beschließt ihren Vortrag mit einer Fülle an beeindruckenden Beispielen aus weiteren Projekten und Meilensteinen wie die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei der Planung von Spielplätzen und Spielpunkten, die Spielleitplanung oder die Kinder- und Jugendpartizipation im Kommunalwesen.

Willkommen im Kinder- und Jugendparlament St. Vincent
Im letzten Vortrag des Abends lag der Schwerpunkt auf der Umsetzung von Kinderrechten bei der Heimunterbringung. Frank Baumgartner vom Kinderzentrum St. Vincent in Regensburg ging ausführlich auf die vielfältigen Maßnahmen ein. Er wies in seinem Einstieg bereits auf die Tatsache hin, dass sogar schon die Betriebserlaubnis, die das SGB 8, §45 regelt, das Recht zur Beschwerde enthält und aufgreift. „Auch bereits bei der Aufnahme selbst werden Eltern und Kinder gleichermaßen über die verschiedenen Möglichkeiten der Beschwerde informiert“, gibt der Gesamtleiter preis. Neben baulichen Maßnahmen zur Eigensicherung und Alarmierungssysteme, Qualifizierungsprogramme und strukturelle Qualitätssicherungsmaßnahmen habe vor allem die Einrichtung des Kinder- und Jugendparlaments dafür gesorgt, dass Selbstbestimmung und Partizipation nicht nur Worthülsen bleiben. „Auch das Bezugserziehersystem spielt im Rahmen von Schutzkonzepten für das St. Vincent eine tragende Rolle“, betont Baumgartner.

Mit Fakten Entscheidungsträger*innen für Anliegen von Kindern überzeugen
Im Anschluss folgte eine rege Diskussionsrunde, in deren Zentrum die Frage nach Veränderungsprozessen z.B. aufgrund minderjähriger Flüchtlingen bei der Heimunterbringung stand. Auch nach Argumenten, die bei der Initiierung von Maßnahmen für die Umsetzung von Kinderrechten von Relevanz sind, wurde gefragt. Anna Schledorn misst dabei der Erhebung und Auswertung von Daten eine wesentliche Bedeutung zu: „Mit qualitativen und quantitativen Analysen schaffen wir Fakten und können damit in der Regensburger Verwaltung gute Überzeugungsarbeit leisten“. An der HSD Hochschule Döpfer renne man damit offene Türen ein, antwortet Vize-Präsident für Forschung, Prof. Dr. Andreas Liebl, der sich ebenso wie sein Kollege Dr. Eylert-Schwarz gemeinsame Forschungsprojekte mit der Stadt Regensburg und Einrichtungen wie dem Kinderzentrum St. Vincent im Rahmen des Studiums der Sozialen Arbeit sehr gut vorstellen kann. Gerade das Studium solle dazu befähigen, wissenschaftlich fundiert die Umsetzung der Kinderrechte zu begleiten. Und damit ging ein äußerst erkenntnisreiche, abwechslungsreicher und bereichernder HSD Talk zu Ende, der ganz laut nach einer Fortsetzung schreit.

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Anna Schledorn, Jugendplanerin der Stadt Regensburg, verschafft Kindern und Jugendlichen eine gewichtige Stimme, die Einfluss auf Planungsprozesse nimmt; Foto: Hans-Carl Oberdalhoff
Martina Kindsmüller, Leiterin der Jugend- und Familientherapeutischen Beratungsstelle der Stadt Regensburg, bereicherte den HSD Talk mit Beispielen aus dem Beratungsalltag; Foto: Stefan Effenhauser (Stadt Regensburg)
Frank Baumgartner, Gesamtleiter des Kinderzentrums St. Vincent, sorgt mit zahlreichen Maßnahmen für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention, allen voran das sehr gut angenommene Kinder- und Jugendparlament; Foto: Juliane Zitzlsperger
Dr. Andreas Eylert-Schwarz, Hochschullehrer für Soziale Arbeit an der HSD Hochschule Döpfer sorgte für den theoretischen Rahmen; Foto: Andreas Eylert-Schwarz