Veranstaltungen in der Oberpfalz

„Fingierte Grenzen“: Auftakt zu deutsch-tschechischem Theaterprojekt

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OBERVIECHTACH/SCHÖNSEE. Das OVIGO Theater nennt es „ein internationales Projekt der Superlative“. Im Sommer 2022 spielt der Verein aus dem Landkreis Schwandorf grenzüberschreitend Theater. Die Zeitreise „Fingierte Grenzen – Auf den Spuren der Aktion ‚Kámen‘“ wird es ab Juni an vier verschiedenen Grenz-Standorten geben – als zweisprachiges Theatererlebnis für Deutsche und Tschechen, gespielt von etlichen Akteuren aus beiden Ländern.

Am Samstag, 12. März 2022 hat es nun den Auftakt-Workshop für das Schauspiel-Ensemble im Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee gegeben. Die OVIGOs versammelten insgesamt 50 Akteure, die an den Standorten Bärnau/Pavlova Hut‘, Waldsassen/Cheb, Selb-Wildenau/Aš und Stadlern/B?lá nad Radbuzou die schier unfassbare Geschichte der Aktion „Kámen“ mit Leben füllen werden.

Eine perfide Falle
Worum geht es in dieser „Zeitreise“, also der geführten Schauspiel-Wanderung, die die Autorin und Historikerin Václava Jande?ková für das OVIGO Theater geschrieben hat? In den Jahren 1948 bis 1951 errichtete die tschechoslowakische Geheimpolizei an mehreren Stellen im westlichen Grenzland eine fingierte Staatsgrenze mit falschen deutschen Zollämtern und Amtsräumen der amerikanischen Spionageabwehr. Dabei handelte es sich um sorgfältig durchdachte Fallen, die im richtigen Moment zuschnappen sollten. Flüchtlinge wähnten sich bei bereits im sicheren und freien Westen, ohne zu wissen, dass die Grenze, die sie übertreten sollten, nicht echt war. Alles reiner Betrug, der Leben zerstörte. Unzählige Menschen fielen dieser Aktion ‚Kámen‘ zum Opfer.

Ein wertvolles Stück Geschichte
Autorin Jande?ková führte die Schauspieler in Schönsee behutsam in die Rollen ein, die sie später verkörpern werden. „Alle Figuren hat es wirklich gegeben. Es handelt sich um echte Opfer, echte Geschichte“, so Florian Wein, Regisseur des Projekts. Anschließend versuchten sich die Darsteller selbst an den Szenen und erarbeiteten sie in Kleingruppen, um vorab bereits einen Vorgeschmack in interner Runde zum Besten geben zu können.

Im Anschluss wurden die Darsteller vom ehemaligen Grenzpolizisten Hermann Wallisch an die Grenze bei Schönsee-Friedrichshäng geführt, wo das Ensemble tief in die Zeit des Kalten Krieges und der „scharfen Grenze“ eintauchte. Für den Abend organisierte das OVIGO Theater eine Podiumsdiskussion, an der neben Jande?ková, Wein und Wallisch auch Günther Borutta (ebenfalls ehemaliger deutscher Grenzpolizist), der freie Journalist Karl Reitmeier aus Furth im Wald und der frühere weltbekannte Tänzer Jan Minarik, der einst als rechte Hand von Pina Bausch in Wuppertal galt. Minarik und seine Familie wurden einst selbst Opfer der Aktion "Kámen". Eindrucksvoll erzählte der Mann mit der tiefen Stimme und dem enormen Charisma von seinen Erinnerungen und dem wiederkehrenden Alptraum, den die damalige falsche Schleusung bei ihm auslöste. Nachdenkliche Töne wurden in der Runde angestimmt, als man den Bogen zur aktuellen Situation in der Ukraine spannte, denn eine Zeit des Kalten Krieges könne schließlich erneut bevorstehen.

„Umso wichtiger, dass wir diesen Beitrag leisten“, so Regisseur Florian Wein, der die Veranstaltung gemeinsam mit seinem fünfköpfigen Team penibel vorbereitete und den Workshop als „vollen Erfolg“ wertet. „Dies ist ein besonderes Projekt, das auch eine besondere Vorbereitungszeit nötig macht. Wir schulden es den Opfern, ihre Geschichten bis ins Detail kennenzulernen, bevor wir ihr Leben nacherzählen“, berichtet Wein weiter. „Wir möchten an diese wahnwitzige Geheimdienst-Aktion erinnern, denn dies darf nicht vergessen werden“, so auch Co-Regisseurin Maria Oberleitner. „Dies sind Geschichten, die sich unmittelbar vor unserer Haustür abgespielt haben und von denen wir lange nichts wussten.“

Die falschen Grenzen und Zollhäuser existieren teilweise noch heute und demonstrieren, welch menschenverachtenden Machenschaften sich mitten in der Grenzregion abgespielt haben. „Fingierte Grenzen“ spürt diese scheinbar vergessene Zeit aus dem Kalten Krieg nach und führt zu Original-Relikten der Aktion "Kámen".

Gemeinsames Theatererlebnis
Besonders spannend gestaltete sich beim Auftakt-Workshop in Schönsee das Zusammenspiel der tschechischen und deutschen Theater-Akteure. Für dieses Projekt konnte OVIGO Darsteller vom Modernen Theater Tirschenreuth, vom Festspielverein Bärnau, von der Gruppe Australia Selb, von den Kunstschulen Cheb und Aš oder vom Theater Jezirko aus Pilsen gewinnen. „Die Sprachbarrieren sind erstaunlich schnell verschwunden“, so Wein. Das Stück ist zweisprachig, es wird Deutsch und Tschechisch gesprochen, dennoch soll das Publikum die Inhalte gut verstehen. „Das Stück hat den ersten Test bestens bestanden“, bestätigte auch Co-Regisseurin Oberleitner.
 
Die Premiere des Gesamtprojekts wird am 4. Juni 2022 mit der Tour von Bärnau steigen. Zeitlich versetzt beginnen schließlich auch die anderen Standorte mit dem Spielbetrieb. Für jede Route gibt es insgesamt acht reguläre Termine. Sämtliche Touren können auch als Gruppe gebucht werden. Regisseur Florian Wein möchte zudem ermuntern, sich zu melden, wenn man noch mitmachen möchte: „Wer Deutsch und/oder Tschechisch spricht, mindestens 16 Jahre alt ist und Lust hat, mit OVIGO ein ganz besonderes Abenteuer in unserer spannenden Grenzregion zu erleben, kann sich nach wie vor melden.“ Interessierte können eine Mail schreiben (info@ovigo-theater.de) oder anrufen (09676 / 923 84 56).

Weitere Informationen zum deutsch-tschechischen Grenzprojekt „Fingierte Grenzen“ und den Vorverkauf gibt es unter www.ovigo-theater.de.

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Fotos: Freya Fehse